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Gibt es überhaupt authentische Portraitfotos?

Gibt es überhaupt authentische Portraitfotos?

Den Anstoß für diesen Blogpost bekam ich durch den Newsletter der Fotografin Zsu, der ich schon längere Zeit virtuell folge. Zwar liegt ihr fotografischer Schwerpunkt etwas anders als meiner, denn sie beschäftigt sich im Wesentlichen mit Businessportraits. Trotzdem gibt es zwischen der Business- und der „klassischen“ Portraitfotografie sehr viele Gemeinsamkeiten, und ich finde ihre oft unkonventionellen Gedanken sehr inspirierend.

Zsu stellt in ihrem Beitrag die These auf, dass es keine wirklich authentischen Fotos von Menschen gibt beziehungsweise geben kann. Als Begründung führt sie unter anderem an, dass sich Menschen immer, bewusst oder unbewusst, anders verhalten, wenn sie in Gesellschaft sind. Oder, um ein berühmtes Zitat des Psychologen und Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick abzuwandeln: Man kann sich nicht nicht verhalten. Wenn dann noch eine Kamera mit ins Spiel kommt, ist es ganz vorbei mit dem Sich-nicht-verhalten und damit auch mit der Natürlichkeit und Authentizität.

So nachvollziehbar und logisch diese Argumentation ist, so sehr hat sich mich auch in mein fotografisches Mark getroffen. Denn wir schreibe ich so schön auf meiner Website zum Thema Portraitfotografie: „Das Ziel sind ehrliche und authentische Bilder“.

Und jetzt?

Bin ich da vielleicht total auf dem Holzweg? Und mit mir alle jene Fotograf*innen, die sich bemühen, den Menschen vor ihrer Kamera möglichst authentisch abzubilden? Die versuchen, dieser enormen Menge an Bildern aus einheitsgestylten und in den immer gleichen Posen dargestellten Perfektmenschen etwas entgegenzusetzen? Die fotografisch nicht nur an der Oberfläche bleiben, sondern etwas zeigen wollen, das tiefer liegt?

Das glaube ich nicht. Aber sehr wahrscheinlich ist der Begriff der Authentizität nicht der richtige und wird oft viel zu leichtfertig verwendet. So wie ich mittlerweile der Meinung bin, dass dieser Begriff aktuell extrem inflationär und nur in den seltensten Fällen richtig benutzt wird. Denn Authentizität beziehungsweise behauptete Authentizität begegnet uns heute an jeder Ecke und ist mittlerweile zu einem ausgewachsenen pseudo Qualitätsmerkmal geworden. Denn alles und jeder ist heute angeblich unglaublich authentisch: Politiker, Künstler, Promis, natürlich grundweg alle Youtuber und sonstige Influencer, und wenn man der Werbung glaubt auch so ziemlich jedes aktuell zu erwerbende Produkt. Authentisch im Sinne von echt, ehrlich unverfälscht. Dass dies nur in den allerwenigsten Fällen den Tatsachen entspricht, dürfte zwar jedem klar sein, trotzdem wirkt dieses Attribut auf uns unglaublich anziehend und wird dementsprechend häufig benutzt.

Ein schwieriges Thema

Doch zurück zur Fotografie. Natürlich sind wir nicht die Ersten, die sich mit diesem Thema befassen. Gibt man den Suchterm „Authentizität in der Fotografie“ in die Google-Suche ein, erhält man jede Menge Links zu Aufsätzen, Artikeln und Büchern, in denen sich Menschen tiefgreifende Gedanken zu dem Thema gemacht haben. Allerdings geht es dabei meistens um journalistisches, historisches oder im weitesten Sinne künstlerisches Material. Grenzt man die Suche auf die Portraitfotografie ein, wird die Quellenlage schon merklich dünner und es bewegt sich zusehends weg von wissenschaftlichen Betrachtungen hinein in den Bereich der Meinung, wie ja auch in diesem Blogbeitrag.

Ein echtes Anliegen oder einfach nur Marketing?

Wollen wir Authentizität also nicht als abgegriffenen Marketingbegriff benutzen, sondern klar sagen, was wir damit meinen, so muss er entweder für die Fotografie neu definiert werden oder wir müssen stattdessen eine andere Bezeichnung für unsere Art der Fotografie verwenden. Vielleicht, weil ich immer schon geahnt habe, was Zsu so treffend auf den Punkt gebracht hat, habe ich den den Begriff der Authentizität bereits für mich anders beschrieben, als er offiziell definiert wird. Für mich bedeutet authentische Fotografie den Versuch, einen Menschen möglichst natürlich und unverstellt zu zeigen. Das heißt, keine vorgefertigten Posen oder Gesichtsausdrücke („Und jetzt mal lachen!“), sondern das Herstellen einer Wohlfühlumgebung, in der möglichst viel Künstliches abgelegt wird.

Versuch und Irrtum

Wichtig in diesem Zusammenhang sind die beiden Wörter „Versuch“ und „möglichst“, denn selbstverständlich gelingt dies mal mehr und mal weniger. Das hängt von ganz vielen Faktoren ab. Zu manchen Menschen findet man einfach nicht den richtigen Draht, damit diese entspannte Atmosphäre entstehen kann. Andere wollen auch gar nicht, dass zu viel von ihrem wahren Ich durchscheint und sich auf dem Foto widerspiegelt – aus den unterschiedlichsten Gründen. Vor allem Menschen, die öfter in der Öffentlichkeit beziehungsweise vor der Kamera stehen, tun sich damit besonders schwer. Das merkt man als Fotograf aber irgendwann, und dann ist das auch ok.

Offenbar hat das alles somit weniger mit echter Authentizität zu tun, als der Text auf meiner Website suggeriert und vielleicht war ich bei der Verwendung des Begriffs hier etwas leichtfertig. Trotzdem hoffe ich, dass irgendwie klar wird, was ich damit meine und wie worin ich meine Aufgabe als Fotograf sehe, wenn ich ein Portrait von einem Menschen fotografiere.

Was mache ich jetzt draus?

Interessanterweise kommt Zsu am Ende Ihres Artikels zu einem ganz ähnlichen Fazit. Für sie geht es darum zu erkennen und zu akzeptieren, dass sich jeder Mensch immer zu einem gewissen Grad „unauthentisch“ verhält und inszeniert – auch oder gerade dann, wenn er fotografiert wird. Es liegt dann an mir, dass sich dieser Mensch wohl dabei fühlt, und letztlich sagt die Art der Inszenierung ja auch wieder eine ganze Menge über diese Person aus. Das sehe ich ganz ähnlich, auch wenn mein Bestreben immer dahin geht, den Grad der Inszenierung möglichst gering zu halten.

All dieses im Hinterkopf werde ich einmal in Ruhe darüber nachdenken, ob ich den Begriff der Authentizität in meinen Texten durch einen anderen ersetze oder vielleicht noch etwas genauer erkläre, was ich persönlich darunter verstehe.

Was ist denn Deine Meinung zu diesem Thema? Das würde mich ehrlich interessieren, egal ob Du selbst fotografierst oder nicht. Die Kommentare sind wie immer offen…

Meinungen dazu 3 Kommentare

23. April 2023 J aus der Stadt mit K

Oh, das Thema Authentizität ist ein weites Feld und wird ganz aktuell mit KI noch komplizierter. Da könnte man Bücher drüber schreiben 🙂

24. April 2023 Klaus S.

Da greifst du ein Thema auf, mit dem ich mich auch seit einiger Zeit als Hobbyfotograf beschäftige. In den meisten Situationen wird nach meiner Beobachtung der Begriff „authentisch“ im Sinne von „wirkt natürlich und unverfälscht“ verwendet. Damit kann ich mich abfinden, wenn der Fokus auf „wirkt“ liegt.
Oft wird er auch verwendet um zu sagen, dass eine Person ihr wahres Ich zeigt. Aber gibt es das überhaupt? Wir alle spielen im sozialen Kontext eine Rolle und zeigen damit immer nur einen Teil unserer Persönlichkeit, und der wird wahrscheinlich meistens gefiltert dadurch, was ich dem Gegenüber, also auch dem Fotografen, zeigen möchte. Ich glaube es war Thomas Ruff, der mal gesagt hat, dass man die Persönlichkeit eines Menschen vielleicht nur durch 100 Bilder ansatzweise erfassen kann. Dem würde ich zustimmen und damit sagen, dass Authentizität im genannten zweiten Sinne eine Unmöglichkeit ist.
Was sehen wir folglich auf Portraits? Wir sehen, was eine Person zu einem bestimmten Augenblick von sich zeigen will und wie sie vor allem wirken will. Anders mag es sein, wenn ich eine Person, die sich unbeobachtet fühlt, aus dem „Hinterhalt“ fotografiere.
Noch weniger authentisch als beschrieben wird eine Person sein, die vom Fotografen eine klare Anweisung bekommt, für ein Bild eine Rolle zu spielen, also zu schauspielern. Ähnlich wird es auch Menschen ergehen, die vom Fotografen aufgefordert werden, „spontan und natürlich“ vor der Kamera zu agieren. Der von dir zitierte Paul Watzlawick hat sich zu solchen „Sei-spontan-Paradoxien“ ausführlich ausgelassen.
Wer sich mit dem Thema „Authentizität“ weiter beschäftigen will, findet einen guten Einstieg mit dem Reclam-Heft „Die Vereindeutigung der Welt“ von Thomas Bauer. Dies enthält ein Kapitel mit dem Titel „Der Authentizitäswahn“.

23. Oktober 2023 Marit

Ich fotografiere selber sehr gerne, doch besonders Portraits machen mir Schwierigkeiten. Ich wünsche mir für meine Portraitaufnahmen mehr Natürlichkeit und Authentizität. Ich fand den Ansatz, das es keine authentischen Portraits gibt interessant, aber ich denke dass es manchmal reicht ein Portrait authentisch aussehen zu lassen, ohne dass es authentisch ist.
https://fotoboutique-karin.de/leistungen/portraits/

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